Kaum ein Thema hat die deutsche Nachkriegsgesellschaft so zum "Stein des Anstoßes" geführt wie der Nationalsozialismus. Den Faschismus begreifbar machen, seine Entstehungsursachen zu ergründen war das vorrangige Ziel vielerTheoretiker und Historiker, das die Intellektuellen in verschiedene Lager spaltete. Zu erinnern ist vor allem an den in den 80er Jahren ausgebrochenen Historikerstreit, der u.a. auf Ernst Noltes Buch "Der Faschismus in seiner Epoche", das in den 60ern erstmals erschien, zurückzuführen ist. Adornos "Studien zum autoritären Charakter" nimmt als Faschismusanalyse eine besondere und herausragende Stellung ein, nicht nur weil sie als eine im Krieg begonnene Untersuchung eine der ersten Untersuchungen überhaupt ist, sondern auch, weil sie sich von einer marxistischen Analyse gelöst hat, die davon ausgeht, dass der Faschismus eine Herrschaftsform des kapitalistischen Systems sei, die Notwendig ist, um den Kapitalismus zu überwinden.
Stattdessen fragt die Studie nach den Bedingungen für die Empfänglichkeit von faschistischer Propaganda. D.h. , es wurde nach den Ursachen des Vorurteils gefragt. Das Vorurteil wurde als persönlichkeitsbedingt verstanden, das in der Charakterstruktur angelegt ist.In meiner Arbeit wird es daher darum gehen, zu schauen, was für ein Deutungsmuster Adorno gibt.
Im zweiten Kapitel meiner Arbeit geht es mir um die Darstellung des Problems und terminologische Erläuterungen, um anschließend im dritten Kapitel auf die Arbeitsmethode und die methodologischen Instrumentarien einzugehen. Die Fragebogenmethode, das Interview und der klinisch-genetische Aspekt sowie der " Thematic Apperception Test" sollen dort beschrieben werden.
der F-Skala und ihre Variablen werden im vierten Kapitel beschrieben. Das fünfte Kapitel meiner Arbeit soll das neue Interviewmaterial darstellen. Was versteht die Studie unter einer Typologie und was unter Syndrome? Diesen Fragen wird im sechsten Kapitel nachgegangen, während im Schlussteil einige Überlegungen für eine Kritik gemacht werden sollen "Die Untersuchung, über die hier berichtet wird, waren an der Hypothese orientiert, dass die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überzeugungen eines Individuums häufig ein umfassendes und kohärentes, gleichsam durch eine ‚Mentalität' oder einen ‚Geist' zusammengehaltenes Denkmuster bilden, und dass dieses Denkmuster Ausdruck verborgener Züge der Individuellen Charakterzüge ist." [1]
Mit diesen Worten leitet Ludwig v. Friedeburg seine Vorrede zu Adornos "Studien zum autoritären Charakter" ein. Die vorliegende Studie, die in den 1940er Jahren unter dem Eindruck des Faschismus in der Emigration in den Vereinigten Staaten begann und antidemokratische Tendenzen in den USA untersuchte, dokumentiert Adornos Beitrag für diese Studie. Der Faschismus als Erscheinungsform, so die Annahme, sei im wesentlichen eine kleinbürgerliche Massenbewegung. Die Untersuchung sollte jenes Potential in der US Bevölkerung ausfindig machen, das sich in Krisenzeiten selben oder ähnlichen Bewegungen anschließen würde.
Die Arbeitshypothese basiert auf der Annahme, dass der Faschismus nicht aufgrund der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation auf die Bevölkerung attraktiv wirkte, sondern eher Ausdruck einer autoritätsgebundene Charakterstruktur sei. Dies hänge mit den Sozialisationspraktiken der patriarchalischen Familienstruktur der 1920er Jahre zusammen. [2]
Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Erforschung des potenziell faschistischen Individuums, welches für faschistische antidemokratische Propaganda extrem anfällig sei. Unter "Potenziell" versteht die Studie diejenigen Menschen, die keiner faschistischen Organisation angehören und auch von sich aus keine erklärtermaßen Faschisten sind. Wenn die psychologischen Kräfte erkannt sind, die den Faschismus begünstigen, dann würde das die Möglichkeit in sich tragen, antidemokratischen Tendenzen entgegenzuwirken. Durch die Studie wurde festgestellt, dass Personen, die eine Anfälligkeit für faschistische Propaganda aufwiesen, sehr vieles Gemeinsam haben. Dieses Resultat sollte für die gesamte Studie von zentraler Bedeutung sein. Die Studie musste zwischen zwei Konzeptionen unterscheiden, "die Ideologie und die der ihr zugrundeliegenden Bedürfnisse." [3]
Gleiche ideologische Trends müssen in den Individuen nicht gleiche Ursachen haben und gleiche Bedürfnisse können sich in unterschiedlichen ideologischen Trends ausdrücken. Unter Ideologie wurde in diesem Zusammenhang ein System von Meinungen, Attitüden und Wertvorstellungen und eine Denkweise über Mensch und Gesellschaft verstanden. Ideologien wirken dann auf Menschen anziehend, wenn sie im Stande sind die persönlichen Bedürfnisse des Individuums zu befriedigen.
Der Antisemitismus, so Adorno, habe tiefere Gründe, als die Erscheinung des Juden und die soziale Situation des Antisemiten alleine. Die Determinanten antisemitischer Einstellungen ist zwar zunächst bei denjenigen Personen zu suchen, die sie äußern, wichtiger jedoch war die Frage, warum einige Personen diese Äußerungen so bereitwillig akzeptieren würden und andere wiederum nicht. Orientiert an der Eingangs zitierten Hypothese, unterstellen sie, "(1) dass der Antisemitismus wahrscheinlich keine spezifische oder isolierte Erscheinung ist, sondern Teil eines breiteren ideologischen Systems, und (2) dass die Empfänglichkeit des Individuums für solche Ideologien in erster Linie von psychologischen Bedürfnissen abhängt." [4]
Das was die jeweiligen untersuchten Personen über Fragen zu Minderheiten oder Gegenwartsprobleme äußern, ist jedoch von ihrer jeweiligen Situation abhängig. Denn nicht immer sagen sie, was sie wirklich denken, so dass sich Diskrepanzen ergeben zwischen dem was sie sagen und dem was sie tatsächlich denken, das die Personen nur zu ihren Freunden, die ihnen vertraut sind, äußern. Die geheimen Gedanken, hebt Adorno hervor, würden die Personen versuchen zu verdecken und unter keinen Umständen äußern; "es kann Gedanken haben, die es sich selbst nicht eingestehen mag, und es kann Gedanken haben, die es nicht ausspricht, (…)" [5]
Genau zu diesen verborgenen Tendenzen, in denen die antidemokratischen Tendenzen liegen, mussten sie versuchen, Zugriff zu bekommen. Das was die Menschen sagen bzw. was sie nicht sagen, ist wiederum vom geistigen Klima abhängig, in denen sie leben. Bei einer Veränderung des geistigen Klimas passen sich die Einen schneller an als die Anderen. D.h., dass die Menschen sich in ihrer Empfänglichkeit für antidemokratische Propaganda unterscheiden. Bei einer Veränderung des geistigen Klimas würde das die Möglichkeit in sich tragen, die Bereitschaft antidemokratischer Tendenzen offen zu äußern, steigern. Daraus sollte jedoch nicht gefolgert werden, dass bei einer offenen Äußerung antidemokratischer Vorstellungen, die Individuen zu Handlungen auch bereit wären.
Die offene verbale Äußerung ebenso wie die offene Tat seien eher von der sozioökonomischen und politischen Augenblickssituation abhängig. Die Individuen wiederum unterscheiden sich in der tatsächlichen Bereitschaft, sich zu offenen Aktionen provozieren zu lassen. Deswegen war es für die Untersuchung auch von Wichtigkeit, dieses Potential zu erforschen, da die Ergebnisse Eindrücke über die Gesamtideologie eines Individuums liefern würden. [6]
Die Untersuchung musste versuchen zu den einzelnen psychologischen Strukturen durchzudringen, die zusammen die Gesamtideologie eines Individuums konstituieren. Diese Strukturen bieten Aufschluss über die Handlungsweisen der Individuen. D.h., sie geben eine Antwort auf die Frage, warum sie in gewissen Situationen gerade so handeln und nicht anders.
Die Untersuchung des Gesamtcharakters eines Individuums gibt wiederum Aufschluss über die Gesamtstruktur des Individuums. Die Studie versteht unter dem Begriff des "Charakters" eine beständige Organisation, welche das Handeln und die Reaktionen der Individuen bestimmt. Betont wird jedoch die Variation der Charakterstruktur zwischen den Individuen. Die Charakterstruktur reagiert nicht nur auf ihre Umwelt, vielmehr entwickelt sie sich unter dem Druck der Umweltbedingungen. Je früher die Umweltkräfte auf die Individuen einwirken, desto intensiver und gründlicher formen sie den Charakter. D.h., die Entwicklung einer Charakterstruktur hängt vom Verlauf der Erziehung in der Kindheit ab.
Die Erziehung durch die Eltern wiederum ist abhängig von ihrer sozialen Zugehörigkeit. Darunter ist nicht nur die religiöse und ethnische Zugehörigkeit zu verstehen, sondern auch die ökonomischen Bedingungen unter denen eine Familie leben muss. Daher wird bei einer Veränderung der sozialen Bedingungen die Charakterstruktur entscheidend beeinflusst bzw. verändert.
Die Charakterstruktur kann also niemals losgelöst von der Gesellschaft isoliert betrachtet werden, vielmehr ist sie Teil des gesellschaftlichen Ganzen. Die Entwicklung einer Charakterstruktur ist für die Reaktion auf die Umwelt erforderlich. Erst dadurch kann das Individuum auf seine Umwelt reagieren. Sein Verhalten gegenüber den sich verändernden ideologischen Trends wird durch die Analyse der Charakterstruktur erklärbar. Die Charakterstruktur ist nicht als ein statisches System zu verstehen, das einmal entwickelt, sich nicht mehr verändert, vielmehr muss es als flexibel aufgefasst werden, das es dem Individuum ermöglicht auch in alte Lebensgewohnheiten zurückzukehren.
Die Beschaffenheit der Charakterstruktur ist folglich ein entscheidender Faktor für die Anfälligkeit antidemokratischer Propaganda. Das führt Adorno zu der Frage, unter welchen Bedingungen die Propaganda zunehmen und in den Medien zu einem dominanten Faktor werden müsse, so dass was zuvor nur Potential war nun aktiv manifest würde. Eine Antwort auf diese Frage liegt nicht etwa in der konkreten Beschaffenheit der Charakterstruktur der Individuen oder in den psychologischen Faktoren der Massen, vielmehr liegt sie in den Prozessen der Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Prozesse müssen wiederum so beschaffen sein, dass sie permanent auf die Charakterstruktur der Individuen einwirken. [7]
Die Studie suchte jedoch nicht nach den Orten der Produktion von Propaganda, vielmehr richtete sie ihren Fokus auf die Konsumenten von Propaganda. Die Analyse beschränkte sich nicht auf die psychischen Faktoren der Individuen allein, sondern musste ihre objektive Lage und die Stellung in der Gesellschaft mit analysieren. Die Menschen würden eher diejenigen politischen Programme akzeptieren, die ihren wirtschaftlichen Interessen dienlich seien. Der Faschismus kann jedoch nicht die wirtschaftliche Situation all seiner Anhänger befriedigen, denn, so Adorno, nur einige wenige können sich durch den Faschismus bereichern.
Deswegen appelliert der Faschismus an die emotionalen Bedürfnisse seiner Anhänger, weil emotionale Bedürfnisse die Menschen empfänglicher für ideologische Propaganda machen. Die wirtschaftlichen Motive sind jedoch nicht die entscheidenden Faktoren für das Individuum. D.h., Individuen mit gleichem wirtschaftlichen Status können trotzdem verschiedenen Ideologien angehören, während andere mit unterschiedlichen soziökonomischem Status gleiche Ideologien haben können. Daraus folgt, dass die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, die untereinander sozioökonomisch divergieren, meinungsprägend für den Einzelnen sind. Das würde demnach bedeuten, dass die Einzelnen häufig die Meinungen ihrer Gruppen übernehmen. [8] Es stellt sich also die Frage nach der Methodik, um die Charakterstruktur der Individuen zu analysieren. Dies soll im folgenden Kapitel behandelt werden.
Um die ideologischen Trends und die Charakterstruktur zu beleuchten, bedurfte die Studie eines methodologischen Instrumentariums. Die Gesamtcharakterstruktur stellte insofern ein großes Problem dar, als sie, der Studie zufolge, aus einzelnen Strukturen besteht. Die Studie musste Techniken entwickeln und anwenden, um zum einen Oberflächenmeinungen, -attitüden und -wertvorstellungen beobachten zu können und zum anderen, um ideologische Trends bloßzulegen. Dazu wurden Einzel- und Gruppenuntersuchungen durchgeführt. Mit Interviews und klinischen Tests wurden Einzelpersonen untersucht. Klinische Tests wurden deswegen durchgeführt, um verborgene Ängste, Wünsche und Abwehrmechanismen aufzudecken, während bei Gruppen mit Fragebögen verfahren wurde. Je nachdem ob das Individuum oder die Gruppe im Mittelpunkt einer Untersuchung stand, verlagerte sich auch der Untersuchungsscherpunkt.
"Wenn das Individuum im Mittelpunkt stand, galt es, seine Denkmuster, Attitüden und Wertvorstellungen im Detail zu beschreiben, die ihnen zugrundeliegenden dynamischen Faktoren zu erkennen und auf dieser Basis adäquate Fragen zur Verwendung bei Gruppen zu entwerfen. Wenn die Gruppe im Mittelpunkt stand, kam es darauf an, herauszufinden, welche Meinungen, Attitüden und Wertvorstellungen im allgemeinen zusammengehen und welche Faktoren in der Entwicklungsgeschichte und in der gegenwärtigen Situation der Versuchspersonen gewöhnlich mit den
einzelnen ideologischen Konstellationen verbunden waren; (…)" [9]
Die Gruppenuntersuchungen sollten als Basis für die Auswahl von Einzelpersonen für die Intensivuntersuchungen aus dieser Gruppe dienen. Potentiell antidemokratische Individuen mussten jedoch als solche erst mal identifiziert werden, um sie anschließend eingehender untersuchen zu können. Hierfür wurden spezielle Fragebögen entwickelt, die anonym von Personengruppen ausgefüllt werden sollten. Die Personen wurden nach den vergangenen und gegenwärtigen Lebensumständen befragt. Ferner wurden die Fragebögen mit einigen antidemokratischen Aussagen versehen, welche die Personen mit Zustimmung oder Ablehnung beantworten sollten. Aus diesen Personen suchten sie sich diejenigen heraus, die am stärksten den Aussagen zustimmten und die sie am stärksten ablehnten, ebenso solche die neutral zu verorten waren. Anschließend wurden mit diesen ausgesuchten Personen Interviews und andere klinische Tests durchgeführt, so dass der Fragebogen aufgrund dieser Ergebnisse revidiert und die ganze Prozedur wiederholt werden musste. Die Interviews dienten auf der einen Seite der Kontrolle des Fragebogens, d.h. es sollte festgestellt werden, ob das Ergebnis des Interviews mit dem Ergebnis des Fragebogens identisch ist und auf der anderen Seite sollten diese klinische Tests "Einblick in die hinter den antidemokratischen Ideologien liegenden psychologischen Faktoren" [10] geben.
Der Fragebogen setzte sich aus drei Teilen zusammen:
1. Fragen zur Person,
2. Meinungs- und Einstellungsskalen und
3. projektive Fragen
Bei den Fragen zur Person handelte es sich um allgemeine Fragen, wie Fragen zur früheren und gegenwärtigen Gruppenzugehörigkeit, zu Beruf und Einkommen, zur Religion und Kirchenbesuchen, usw. Meinungs- und Einstellungsskalen wurden benutzt, um ideologische Trends, wie Antisemitismus, Ethnozentrismus und politisch-wirtschaftlichen Konservatismus herauszufiltern. Die Skalen bestanden aus Aussagen, bei denen die Personen ihren Zustimmungs- und Ablehnungsgrad angeben mussten. Aus diesen Ergebnissen wurde eine Skale erarbeitet, die zur Messung antidemokratischer Tendenzen in der Charakterstruktur diente. [11]
Um die emotionale Ebene zu untersuchen, wurden projektive Fragen verwendet. "Eine projektive Frage lautet: Was würden Sie unternehmen, wenn Sie nur nochsechs Monate zu leben hätten und alles tun dürften, was Sie möchten?" [12]
Projektive Fragen sind keine eindeutigen Fragen, auf die einfach zu antworten wäre. Vielmehr mussten die Personen auf solche Fragen interpretierend antworten, so dass sich ein Maximum an Variationsmöglichkeiten der Antworten ergeben würde. Die Antworten liegen also auf der emotionalen Ebene. Die Antworten wurden als Ausdruck von Wertvorstellungen und Konflikten verstanden. Eine Bedeutung in den Antworten ergab sich dann, wenn eine Beziehung zwischen diesen Antworten und den anderen Angaben der Person hergestellt werden konnte.
Nachdem die Auswahl für die Intensivuntersuchungen getroffen worden waren, wurden die klinischen Techniken durchgeführt. Die klinischen Tests bestanden aus dem Interview und dem sogenannten "Thematic Apperception Tests".
Das Interview und der klinisch-genetische Aspekt
Das Interview bestand aus einem ideologischen und einem klinisch-genetischen Teil. Der ideologische Teil sollte die Personen zu spontanen Gesprächen zu ideologischen Themen, wie Minderheiten, Religion, Einkommen, Beruf usw. veranlassen. Während der Fragebogen die Personen auf die vom Fragebogen gegebenen Themen beschränkte, wurde den Personen während des Interviews die Möglichkeit gegeben, die Themen selbst auszusuchen. Dies bot die Möglichkeit, zu beobachten, welche Themen die Personen von sich selbst aus anschlagen und mit welcher Intensität sie ihren Gedanken freien Lauf lassen würden. Die Studie erachtet mit den Ergebnissen des Interviews, die mit den Fragebögen verglichen wurden, um zu sehen, ob das eine Ergebnis identisch sei mit dem Anderen, als sicheren Beweis für antidemokratische Trends.
Der klinisch-genetische Aspekt des Interviews sollte mehr den Hintergrund der Personen beleuchten. D.h., es sollte mehr Angaben über die Vergangenheit, gegenwärtige Situation, Gefühle, Sexualität, Wünsche, Ängste, Beziehung zu den Eltern und ggf. Geschwistern, eigene Kindheit, usw. liefern; als aus dem Fragebogen zu entnehmen war. Das Interview bot die Möglichkeit zu tieferen Einblicken in die Charakterstruktur des Interviewten.
Der Thematic Apperception TestWährend dieser Tests wurden der Person mehrere dramatische Bilder vorgelegt. Die untersuchte Person wurde aufgefordert, zu jedem dieser Bilder eine Handlung zu erzählen. Die Interpretation der Bilder durch die Personen trug die Möglichkeit in sich, die verborgenen Wünsche, Ängste und Konflikte sowie in der Reaktion auf diese Bilder die Verteidigungsmechanismen der Personen offen zulegen, so dass - in Beziehung zum Interview - spezifische Charaktervariablen herausgefunden werden konnten. [13] Nachdem die Methode dargestellt wurde, stellt sich im Folgenden die Frage nach der Konstruktion und Funktion der F- Skala.
Für die Konstruktion der F-Skala, waren die Ergebnisse aus den zuvor durchgeführten Tests und die daraus entstandenen vorläufigen Skalen, wie die Antisemitismus- und Ethnozentrismus Skala von großer Bedeutung. Mit der Ethnozentrismus- Skala fanden sie heraus, "dass verschiedenen voreingenommenen Antworten eine allgemeine Disposition zur Glorifizierung, zu unterwürfiger und unkritischer Haltung gegenüber Autoritäten der Eigengruppe und zu Strafsucht gegenüber Angehörigen anderer Gruppen im Namen irgendeiner moralischen Autorität zugrunde liegen musste, so dass Autoritarismus die Ausmaße einer Variablen annahm, (…)" [14]
Dabei war es von entscheidender Wichtigkeit, herauszubekommen auf welche Weise sich ein verborgener Trend in der Charakterstruktur in den Meinungen und Attitüden der Personen ausdrücken würde. So entstanden variable Charakterzüge, die von der F-Skala erfasst werden konnten. Die Variablen basieren auf der Interpretation der konstruierten Fragesätze, die die Personen beantworten mussten. Der Antisemit beispielsweise verachtet die Juden, weil sie den herkömmlichen Moralgesetzen nicht folge leisten. Daraus wurde die starre Bindung an konventionellen Werten interpretiert, das eine Charakterdisposition darstellen würde. Der Antisemitismus würde sich demzufolge aus dieser Charakterdisposition erklären. Die Neigung des an konventionellen Werten verhafteten zur übertriebener Kontrolle der Übertreter der moralischen Gesetze und das daraus resultierende Bedürfnis zu strafen, seien charakteristisch und bilden eine Variable im Individuum, die von der F-Skala erfasst werden konnte. Auf diese Weise entstanden 9 Variablen, die zusammen die F-Skala bildeten.
Durch die F-Skala war es nun möglich den potentiell antidemokratischen Charakter zu messen. [15] Es bleibt an dieser Stelle noch zu klären, aus welchen Variablen die F-Skala besteht und was sie auszeichnet. Dies soll imfolgenden Abschnitt mit jeweils einer Beispielaussage kurz dargestellt werden.
a) Konventionalismus:
Bei dieser Variable handelt es sich um Individuen, die an konventionellen
Normen durch gesellschaftlichen Druck festhalten. Das Individuum beharrt auf den Normen der Kollektivmacht, mit dem es sich derzeit identifiziert. Das Individuum, das dem konventionellen Typ angehört, gehorcht und folgt mit ruhigem Gewissen dem Diktat äußerer Mächten. "Gehorsam und Respekt gegenüber der Autorität sind die wichtigsten Tugenden, die Kinder lernen sollten." [16]
Charakteristisch bei dieser Variablen ist der Wunsch des Individuums nach einem starken Führer. Es handelt sich um ein starkes emotionales Bedürfnis sich unterwerfen zu wollen. Auch hier handelt es sich um das Verlangen, sich äußeren Mächten unterwerfen zu wollen. Dies führte die Studie darauf zurück, dass das Individuum nicht im Stande war, eine innere Autorität herauszubilden. Eine andere Begründung beinhaltet die These, dass das Individuum durch seine Unterwerfung unter einer Autorität, es im Stande sei, seine ambivalente Gefühle zu steuern. Autoritäre Unterwürfigkeit ist dem antidemokratischen Potential insofern förderlich, als sie das Individuum für Manipulation durch äußere Mächte empfänglich macht. Das Individuum musste feindliche Gefühle gegenüber Autoritäten, wie seinen Eltern, unterdrücken und sieht nun diese negative Machtfigur in Fremdgruppen, um sie der Unfairness, der Machtgelüste, usw. bezichtigen zu können. Diese unterdrückte Feindseligkeit findet aber auch in der "autoritären Aggression" ihren Ausdruck. "Was dieses Land vor allem braucht, mehr als Gesetze und politische Programme, sind ein paar mutige, unermüdliche, selbstlose Führer, denen das Volk vertrauen kann." [17]
Autoritäre Aggression zeichnet sich dadurch aus, dass das Individuum stets auf fundamentale Wünsche verzichten und mit starker Selbsteinschränkung leben musste. Es sucht sich Objekte an denen es sich halten kann und ärgert sich, wenn anderen etwas besser gelingt. Weil es nicht im Stande ist, sich gegen seine Eigengruppe zu wenden, richtet es seine Feindseligkeit gegen Fremdgruppen. Das Individuum muss aus einer inneren Notwendigkeit heraus seine Aggression gegen Fremdgruppen richten "Die meisten unserer gesellschaftlichen Probleme wären gelöst, wenn man die Asozialen, die Gauner und die Schwachsinnigen loswerden könnte." [18]
d) Anti-Intrazeption:Diese Variable meint im Wesentlichen die Dominanz von Gefühlen, Sehnsüchten, Phantasien, usw., kurz, es handelt sich um eine Anschauungsweise, die auf Imagination basiert. Aus Angst das Falsche zu denken, wagt das Individuum nicht über, menschliche Phänomene nachzudenken. Weil es keinen Zugang zu seinen inneren Gefühlen findet, fürchtet es sich vor dem was die Beschäftigung mit sich selbst oder die Beobachtung anderer über es zum Vorschein bringt. Deswegen ist es der Neugier über andere abgeneigt und interessiert sich nicht für die Gefühle anderer Menschen. "Heute mischen sich immer mehr Menschen in persönliche Angelegenheiten anderer ein, die Privatsache bleiben sollte." [19]
Bei dieser Variablen glaubt das Individuum an mystische oder phantastische Phänomene, die sein Schicksal lenken. Auch hier denkt das Individuum in starren Kategorien, die zur Stereotypie führen, das die Studie auf eine beschränkte Intelligenz zurückführt. Wie bei den anderen Variablen überlässt das Individuum die Verantwortung äußeren Mächten. Es ist nicht im Stande, sein Schicksal selbst zu bestimmen. "Jeder Mensch sollte einen uneingeschränkten Glauben an eine übernatürliche Macht haben, deren Entscheidung er nicht in Frage stellt." [20]
Das Individuum mit dieser Variablen versucht durch die Zurschaustellung seiner Robustheit, die Schwere der von ihm geforderten Forderung zu verdecken. Das Individuum, das diese Züge manifestiert, leidet unter einem Machtkomplex. Es denkt in Dichotomien mit denen es menschliche Beziehungen kategorisiert, wie stark und schwach, überlegen und unterlegen usw., mit denen er sich zuweilen auch identifiziert. Dieses Schema überträgt das Individuum auch auf das Verhältnis Eigengruppe - Fremdgruppe. Dadurch verschafft es sich ein Überlegenheitsgefühl, das sich in "höherwertige" und "minderwertige" Rasse ausdrückt. Trotz des unbedingten Willens zur Macht, scheut es sich, sie zu ergreifen bzw. sie auszuüben, bewundert jedoch die Macht der anderen, ist bereit sich der Macht der anderen zu beugen und fürchtet diese Schwäche zugleich. Es hofft, indem es sich der Macht unterwirft, auch an ihr teilnehmen zu können. "Die Menschen kann man in zwei Klassen einteilen: die Schwachen und die Starken." [21]
Aufgrund der Einschränkungen seiner Triebbefriedigung, die das Individuum von außen auferlegt bekommt, hegt es aggressive Impulse. Fremdgruppen sind für dieses Individuum Ventile, auf die es seine Aggression lenkt. "Der echte American way of life ist so schnell im Schwinden, dass Zwang nötig sein mag, um ihn zu bewahren." [22]
Auch hier neigt das Individuum dazu, seine unterdrückten Aggressionen auf Fremdgruppen zu lenken. Es projiziert, um anzuklagen. Das Individuum glaubt, dass andere Böses gegen ihn hegen, vielmehr hegt es selbst aggressive Impulse, die es durch Projektion kanalisiert. "Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch geheime Verschwörungen der Politiker bestimmt wird." [23]
In diesem Fall verspürt das Individuum die Übertreter des Sexualkodex zu
züchtigen. Dahinter verbirgt sich jedoch das allgemeine Bedürfnis zu strafen, das die Studie auf die Identifikation mit Autoritäten der Eigengruppe zurückführt, aber andererseits auf die Verdrängung der eigenen sexuellen Neigungen schließen lässt. "Homosexuelle sind nichts als entartete Kreaturen und sollten streng bestraft werden." [24]
Mit diesen Variablen war es nun möglich, Vorurteile zu messen. Fraglich bleibt jedoch immer noch, ob die F-Skala ein sicheres Instrument ist, um die Anfälligkeit für den Faschismus, welche in der Charakterstruktur begründet ist, zu beurteilen. [25]
Was die F-Skala in letzter Instanz jedoch auszeichnet, ist ihre psychologische Dimension, die durch die Variablen ausgedrückt wird. [26] Es bleibt also noch zu klären, welcher Art die Beziehung zwischen Vorurteil und Charakterstruktur ist.
Zu Beginn dieser Studie lag der Schwerpunkt noch in der Ergründung des Antisemitismus. Mit voranschreitender Untersuchung verlagerte sich jedoch allmählich der Schwerpunkt. D.h., vordergründig stand nicht mehr der Antisemitismus bzw. das Vorurteil generell gegenüber Minderheiten als sozialpsychologisches Phänomen allein, vielmehr bildete die Analyse der Beziehung zwischen Vorurteil gegenüben Minderheiten und ihre charakterologische Konfiguration [27] einen neuen wesentlicher Bestandteil der Studie. D.h., die Studie versuchte zu beweisen, inwiefern der Antisemitismus bzw. das Vorurteil generell gegenüber Minderheiten in Beziehung zu der Beschaffenheit der Charakterstruktur steht. Während die Fragen der Variablen zuvor noch relativ allgemein waren, gingen die Fragen beim neuen Interviewmaterial viel mehr ins Detail, um mehr über den offenen Antisemitismus zu erfahren. Einige Fragen sehen wie folgt aus:
"Sind Sie gegen persönliche Kontakte mit einzelnen Juden? Betrachten Sie die Juden mehr als Ärgernis oder mehr als Bedrohung? Könnten Sie sich vorstellen, einen Juden (Jüdin) [sic!] zu heiraten? Ist es Ihnen angenehm, das jüdische Problem zu diskutieren? Was würden Sie tun, wenn Sie Jude wären? Kann ein Jude jemals ein wirklicher Amerikaner werden?" [28]
Durch das detaillierte Fragen trug es die Möglichkeit in sich mehr über das Verständnis von Vorurteil und den mit ihr verbundenen psychologischen Konflikt zu erfahren. Bedenkenlos übernahmen viele Individuen die Vorwürfe gegenüber den Juden, insofern sie nicht selbst diese Vorwürfe vorzubringen brauchten und akzeptierten sie als anerkannte Tatsache.
Dieses Ergebnis führt die Studie auf zwei Symptome zurück. Zum Einen könnte es ein Ausdruck der inneren Konsistenz der antisemitischen Ideologie sein und zum anderen ein Symptom von geistiger Starrheit. [29] Das würde jedoch immer noch nicht die bedenkenlose Übernahme aller Vorurteile erklären. Die Übernahme der antisemitischen Vorurteile erklärt die Studie damit, dass antisemitische Äußerungen in extremer Form dargestellt, den Anschein in den Personen weckten, als seien diese Vorurteile nichts verachtenswertes, d.h. mit der Übernahme dieser Vorurteile vermögen die Individuen durch das Wissen, dass ihre eigenen Äußerungen weniger extrem ausfallen würden, gleichsam ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Dies würde erklären, so die Studie, warum die Mehrheit des deutschen Volkes die antisemitischen Maßnahmen so bereitwillig akzeptierten.
Anlehnend an die Ausgangshypothese zeigt das Interview als Ergebnis, dass nicht die Juden als Objekt für die Entstehung von antisemitischen Vorurteile seien. Der Antisemitismus habe wenig mit den Eigenschaften der Juden zu tun. Vielmehr rühren die Vorurteile und die Feindschaft aus der eigenen Versagung und Repression, so dass das eigentliche Objekt der Feindschaft das hasserfüllte Individuum selbst ist. Das Individuum braucht also ein Ersatzobjekt. Dieses Objekt muss jedoch gewisse Funktionen erfüllen, um als Aggressionsventil dienlich zu sein. [30]
"Es muss historisch fundiert sein und als unbestreitbares Element der Tradition erscheinen. Es muss in starren und wohlbekannten Stereotypen definiert sein, und schließlich muss es Merkmale besitzen oder zumindest im Sinne von Merkmalen wahrgenommen und verstanden werden können, die den destruktiven Tendenzen des Vorurteilsvollen entgegenkommen. […] Es ist kaum zu bezweifeln, dass alle diese Bedingungen in hohem Maße von dem Phänomen >Jude<>
Der Antisemitismus wird demnach von den eigenen psychischen Trieben und Bedürfnissen bestimmt und dem Individuum dadurch ermöglicht, sich in der Welt zurechtzufinden, die ihm ansonsten verschlossen bleiben würde. Der Versuch, Gegenmittel gegen die Bedrohung der faschistischen Mentalität [32] zu finden, führt die Studie zur Konstruktion psychologischer Typen bzw. Syndrome. Dies soll im folgenden Abschnitt meiner Arbeit erörtert werden.
Die Typologie
Die Studie konstruiert anlehnend an die Theorie der Typologie, die von der Psychologie entwickelt worden ist und von der Studie zum Teil verworfen wird, verschiedene Typen bzw. Syndrome des faschistischen Charakters. Der Begriff der Typologie wurde von der Studie insofern problematisiert, als die Typenlehre die Einzigartigkeit eines Individuums nicht erfassen konnte und wirkte somit der Individualität entgegen. Die Typologie würde nämlich die Flexibilität der Charaktersstruktur in Statische verwandeln. Wie die Studie jedoch als erwiesen erachtet, ist die Charakterstruktur eines Individuums insofern flexibel, als sie auch die Starrheit des potentiell faschistischen Charakters in sich trägt. Die Typologie, die von der Studie konstruiert worden ist, basiert auf drei Kriterien:
- 1. Menschen sollen weder nach Gruppen aufgeteilt noch durch Idealtypen gekennzeichnet werden, die durch Mischung ergänzt werden können. Diese Typen können nur insofern gerechtfertigt sein, wenn sie unter jeder Typusbezeichnung eine Reihe von Zügen und Dispositionen aufweisen könne.
- 2. Die Studie versteht die Typisierung von Menschen als eine soziale Funktion. D.h., je starrer ein Typ ist, desto mehr wurde es durch die Gesellschaft geprägt.
- 3. Die Typen müssen derart konstruiert sein, dass sie "sich in relativ drastische Abwehrmechanismen übertragen lassen, die so angelegt sind, dass unterschiede individuellerer Natur nur eine Nebenrolle spielen." [33] D.h., spezifische Unterschiede sind insofern irrelevant, als sie der Konstruktion derTypenbildung nicht dienlich seien und diese Unterschiede bei genauerer Betrachtung nur scheinbar unterschiedlich sind. [34]
Ferner waren die Typen bzw. die Syndrome so anzulegen, dass sie die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen wiederspiegeln. Die in der F-Skala konstruierten Variablen bilden zusammengenommen eine Einheit, ein Syndrom, so dass der potentiell faschistische Charakter "in sich selbst eine >strukturelle Einheit< bildet." [35] Daher sind auch die einzelnen Syndrome nicht als isolierte der Variablen zu verstehen, vielmehr bilden sie ein Bezugssystem des potentiell faschistischen Charakters. Mit anderen Worten, die Einheit der Variablen bildet das Bezugssystem der einzelnen Syndrome. Die Unterschiede der Syndrome sind dadurch zu erklären, dass die einzelnen Variablen unterschiedlich im potentiell faschistischen Charakter auftreten, die jedoch miteinander dynamisch als Übergänge verbunden sind.
Der potentiell faschistische Charakter ist als ein Produkt des geistigen Klimas seiner Umwelt, das in Wechselwirkung zu seinen psychischen Reaktionen auf dieses Klima steht, zu verstehen. Die Meinungen, Vorstellungen, Ideen und Anschauungsweisen des potentiell faschistischen Charakters entspringen nicht seiner selbst, vielmehr gehen sie auf seine Zugehörigkeit eines kulturellen Kreises zurück. [36]
Bleibt noch zu erörtern, wie die Syndrome des Vorurteilsvollen und Vorurteilsfreien aussehen. Dies soll im folgenden kurz dargestellt werden.
a) Oberflächenressentiment:
Hier handelt es sich um Personen, die Stereotypen wie fertige Formeln von Außen übernehmen. Dadurch rationalisieren sie ihre eigenen Schwierigkeiten und können diese psychologisch oder praktisch überwinden. Durch das Denken in Stereotypen, sind die Versuchspersonen im Stande, ihre Vorurteile zu begründen. Sie machen andere für ihr eigenes Versagen verantwortlich und sind froh, wenn sie durch Diskriminierung von Minderheiten einen wirtschaftlichen Vorteil erhalten.
b) Das "konventionelle" Syndrom:
Auch bei diesem Syndrom ist das Denken in Stereotypen charakteristisch, das jedoch nicht nur von Außen bedingt ist, sondern in der Charakterstruktur als Bestandteil inhärent ist. Die Zustimmung zu den herrschenden Maßstäben ist dem Konventionellen wichtiger, als die eigene Unzufriedenheit. Sie denken in Eigen- und Fremdgruppen und übernehmen bedenkenlos die Urteile der anderen an. Ihnen erscheint ihr Vorurteil als selbstverständlich und ist ihnen selbst nicht bewusst. Weil ihr Vorurteil nicht zu den eigenen Sorgen in Beziehung steht, enthält ihr Vorurteil ein irrationales Moment. Kontakt zu Fremdgruppen versuchen sie zu vermeiden und Menschen die von den konventionellen Werten ihrer Eigengruppe abweichen, steigern ihre Feindseligkeit gegenüber ihnen. Sie meinen Fremdgruppen an ihrem äußeren Aussehen erkennen zu können, unterscheiden jedoch zwischen ihrem Assimilierungsgrad.
c) Das "autoritäre" Syndrom:
Dieses Syndrom kennzeichnet Personen, die die soziale Anpassung nur vollbringen können, wenn sie Gefallen an Gehorsam und Unterdrückung finden. "(…) die sadomasochistische Triebstruktur ist daher beides, Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung." [37] Die Personen dieses Syndroms leiden unter einem Ödipuskomplex. Die Befriedigung vollzieht sich in der Umsetzung der Charakterzüge. D.h., die Liebe zur Mutter wird tabuisiert, während der Hass zum Vater in Liebe umgewandelt wird. Diese Umwandlung von Hass in Liebe vollzieht sich jedoch niemals vollständig. Die frühere Aggressivität wird nur zum Teil neutralisiert, ein Rest an Sadismus bleibt jedoch zurück. Die Personen suchen ein Ventil und finden sie in den Menschen mit denen sie sich am wenigsten identifizieren, d.h. in Fremdgruppen. Die Fremdgruppen nehmen den Platz des verhassten Vaters ein. Gleichzeitig mit der Identifizierung einer autoritären Macht geht eine Ablehnung für alles unter ihr stehende einher. Da wo die sozialen Bedingungen schuld für Notlagen sind, wird die Lage umgekehrt und in eine wohlverdiente Strafe des Notleidenden durch die Person dieses Syndroms umgewandelt. Um sich selbst einer autoritären Disziplin zu unterwerfen, ist die Identifikation mit seiner Familie bzw. seiner gesamten Eigengruppe für ihn unentbehrlich.
d) Der Rebell und der Psychopath:
Anders als beim "autoritären" Syndrom löst der "Rebell" sein Ödipuskomplex durch das Rebellieren gegen sein Vater, statt sich mit ihm zu identifizieren. Dies trägt die Möglichkeit in sich die sadomasochistischen Tendenzen zu neutralisieren. Doch würde in einigen Fällen ein Rest an autoritären Strukturen unberührt bleiben. Die verhasste väterliche Autorität wird durch eine andere ersetzt. D.h., das Individuum sucht sich eine andere Autorität, der es sich unterwerfen kann. Andererseits kann es passieren, dass das Individuum seine masochistischen Tendenzen unbewusst zurückhält und gegen jede Autorität Hass zu verspüren beginnt; "vermischt mit starken destruktiven Tendenzen, gepaart mit der geheimen Bereitschaft zu >kapitulieren<>verhassten<>
Das soziale- und politische Verhalten der Individuen bestimmt, das auch für die anderen Syndrome zutrifft, ob ein Individuum unabgängig ist oder ob es die Abhängigkeit durch eine negative Übertragung ersetzt hat. ei dem Rebellen äußert sich die negative Übertragung dadurch, dass es pseudorevolutionär gegen diejenigen vorgeht, die ihm als schwach erscheinen.
Der Psychopath stellt das Extrem des Rebellen dar. Anders als beim Rebellen, löst der Psychopath seinen Ödipuskomplex durch den Rückgang seiner Omnipotenzphantasien, die in seiner Kindheit angelegt sind. Ihre psychische Entwicklung ist vollkommen fehlgeschlagen und die Gesellschaft vermochte es auch nicht, sie zu formen. Destruktive Tendenzen kommen bei diesen Personen unverhüllt zum Vorschein. Ihre Lust zu quälen, richtet sich gegen hilflose Opfer. Das Individuum dieses Syndroms ist ein religiöser Fanatiker und durchbricht die herrschenden Normen und Gesetze.
e) Der Spinner:
Bei diesem Syndrom hat die Frustration eine wichtige Funktion. Dieses Syndrom ist bei Personen anzutreffen, denen es nicht gelungen ist, sich an ihrer Umwelt anzupassen. Sie sind durch Verzicht und Versagung, die ihnen in ihrer Kindheit und Gegenwart durch die Außenwelt auferlegt worden sind, geprägt. Dadurch wurden sie in die Isolierung getrieben. Sie leben in einer Pseudorealität, eine Scheinwelt, welche sie durch das Vorurteil konstruieren, die sie der Realität entgegensetzen und ihre Aggressivität gegen sie richten. Durch Selbsterhöhung vermögen sie zu existieren und verwerfen dadurch die Außenwelt. Zudem sind diese Personen projektiv und misstrauisch. Durch das Denken in Stereotypie erfahren sie soziale Bestätigung. "Dieses Syndrom ist bei Frauen und alten Männern anzutreffen, deren Isolierung durch den Ausschluss vom wirtschaftlichenProduktionsprozess noch verstärkt wird." [39] Durch das Zusammenschließen zu Sekten, bestätigen diese Personen gegenseitig ihre Pseudorealität.
f) Der Manipulative Typus:
Den manipulativen Typus stellt die Studie als gefährlichstes Syndrom dar. Diese Personen denken in extremen Stereotypien. "(…) starre Begriffe werden zu Zwecken statt zu Mitteln, und die ganze Welt ist in leere, schematische, administrative Felder eingeteilt." [40] Während der "Spinner" in einer von ihm konstruierten Scheinwelt lebt, tritt bei dem manipulativen Typ das Gegenteil ein. Diese Personen leben in einem zwanghaftem Überrealismus. Sie betrachten alles als Objekte, die sie nach eigenen theoretischen und praktischen Schablonen handhaben, erfassen und zu manipulieren versuchen. Ihr Ordnungsprinzip basiert auf Eigen- und Fremdgruppe. Die Studie stellt Himmler als Beispiel für dieses Syndrom dar. Die Personen dieses Syndroms betrachten alles mit den Augen eines Organisators und bevorzugen die totalitäre Lösung. [ 41] Um die Vergleichbarkeit zu den Syndromen der Vorurteilsfreien zu gewährleisten, sollen diese im folgenden skizzenhaft erörtert werden.
Die Syndrome der Vorurteilsfreien
Anders als beim Vorurteilsvollen werde beim Vorurteilsfreien die väterliche Autorität und ihre gesellschaftlichen Stellvertreter durch eine Art Kollektivbild verdrängt.
a) Der Starre
Die Personen dieses Syndroms fallen durch ihre Stereotypie auf. D.h., ihre Ablehnung jeden Vorurteils beruht nicht auf einer gemachten Erfahrung, vielmehr wird sie aus äußerlichen ideologischen Formeln abgeleitet. Die ideologischen Lebensformeln, mit der diese Personen in Berührung kommen, sind eher zufällig. Totalitäres- und starres Denken kennzeichnen diese Personen. Weil die ideologischen Formeln zufällig sind, sind sie auch anfällig für Positionswechsel. Am Desinteresse für kritische Minderheitenfragen, sind solche Personen zu erkennen. Ihr Widerstand, so die Studie, richtete sich im Nationalsozialismus meist gegen das Vorurteil im faschistischen Programm. Rassendiskriminierung wird durch Bagatellisierung als Nebenerscheinung des Klassenkampfes dargestellt.
b) Der Protestierende
Auch bei diesem Syndrom handelt es sich um die Lösung eines spezifischen Ödipuskomplexes, das bei den Personen nachhaltige Spuren hinterlässt. Auf der einen Seite wiedersetzen sie sich der väterlichen Autorität, auf der anderen Seite jedoch haben sie die väterliche Autorität verinnerlicht. Sie wenden sich nicht nur gegen den Vater als Vorbild, sondern gegen jegliche Autorität. Ihr Gewissen ist autonom und von äußerlichen Gesetzen unabhängig, so dass diese Personen von ihrem Gewissen gelenkt werden. Aus moralischen Gründen protestieren sie gegen jede Form sozialer Unterdrückung bzw. gegen die extremere Variante der Rassendiskriminierung. Weil sie sich oft schuldig fühlen, hegen sie den Wunsch, das Unrecht, das den Minderheiten angetan worden ist, wieder gutzumachen. Obwohl diese Personen ein ausgeprägtes Gewissen haben, sind sie dennoch gehemmt zu handeln. Durch die extreme Verinnerlichung von Schuldgefühlen, glauben sie, dass alle schuldig seien.
c) Der Impulsive
Dieses Syndrom ist bei völlig angepassten Personen anzutreffen. Sie sympathisieren mit allem, was ihnen als Unterdrückung erscheint. Die Unterscheidung Eigen- und Fremdgruppe hat bei ihnen keine Bedeutung mehr. Alles was "anders" ist, zieht diese Personen an. Sollten in diesen Personen destruktive Momente herrschen, so richten sie diese Momente nicht etwa gegen andere, vielmehr richten sie sie gegen sich selber.
d) Der Ungezwungene
Kennzeichnend für die Personen, die dieses Syndrom aufweisen, ist, dass sie meinen, den Dingen ihren Lauf zu lassen und Gewalt gegenüber ihrer Umwelt ablehnen. Sie sind frei von stereotypem Denken. Der "Ungezwungene" spürt einen Widerwillen, Entscheidungen zu treffen, das ihre Sprache mitbeeinflusst. An den oft abgebrochenen Sätzen könne dies festgestellt werden. Bei Streitfragen überlassen sie lieber ihren Kontrahenten das Urteil. Ihre politische Einstellung ist nicht radikal. Sie glauben in einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft ohne Repression zu leben.
e) Der genuine Liberale
Die Personen dieses Syndroms weisen einen starken Sinn für Autonomie und Unabhängigkeit auf. Sie mischen sich nicht in die persönlichen Überzeugungen anderer ein und wollen auch nicht, dass von Außen sich jemand in ihre Überzeugungen einmischt. Zivilcourage ist bei diesen Personen kennzeichnend. Bei Unrecht können sie nicht schweigen, auch wenn sie dadurch in Gefahr geraten. Sie denken nicht in Gattungen, vielmehr sehen sie die Anderen als Individuen an und sind selbst starke Individualisten. [42]
Wie muss eine Kritik aussehen? Im Schlussteil meiner Arbeit sollen einige Überlegungen dargestellt werden.
Den Faschismus psychologisch zu erklären ist insofern problematisch, als die Psychologie selbst eine rein theoretische Disziplin ist, die m.E. ausschließlich auf Annahmen beruht. Als eine frühe Analyse, die noch vor dem Ende des zweiten Weltkrieges begann und erst nach dem zweiten Weltkrieg abgeschlossen wurde, d.h. noch vor Hannah Arendts berühmt gewordener Totalitarismusanalyse "The Origins of Totalitarianism", das 1951 erstmals in New York veröffentlicht wurde und in der deutschen Übersetzung 1955 dem deutschen Leser zugänglich wurde, muss dieser Studie der Versuch eines Deutungsmusters anerkannt werden.
Das Deutungsmuster - den Faschismus auf die innere Charakterstruktur der Individuen zurückzuführen - ist insofern problematisch, als davon ausgegangen wird, dass mit der Ergründung der vermeintlichen Charakterstruktur auch die Möglichkeit geboten wäre, wirksame Mittel gegen den Faschismus zu finden. Wie diese Mittel zunächst aussehen, wird in der Studie nicht beantwortet. Wenn die Studie jedoch davon ausgeht, dass eine autoritätsgebundene Charakterstruktur der Individuen die Ursache für die Anfälligkeit von antidemokratischer Propaganda sei, so wäre das einzige wirksame Mittel gegen den Faschismus die Erziehung selbst. Doch wer bestimmt über die wie auch immer aussehende "gute Erziehung"? Es muss also eine Institution geschaffen werden, die über die Erziehung wacht. Institutionalisierung impliziert aber gleichzeitig eine Herrschaft über Menschen. Adorno selbst sagt in seinem 1965 erschienen Aufsatz "Gesellschaft", dass Verwaltungen - und nichts anderes sind Institutionen! -sich verselbstständigen und sich gegen die Verwalteten richten würden. [43]
Die Behauptung, dass die faschistische Bewegung deswegen so erfolgreich war, weil die Anhänger eine autoritätsgebundene Charakterstruktur hatten, ist auf der einen Seite plausibel, auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass das deutsche Volk unter einer Massenpsychose litt. Die Fragebögen und die Interviews sind insofern kritisch zu beurteilen, als die Untersuchten explizit in ihren Antworten dadurch beeinflusst wurden. Zudem muss auch in Betracht gezogen werden, dass die Interviews in für die Untersuchten ungewohnten Umgebungen stattgefunden haben und durch die Forscher beobachtet wurden. Daraus folgt ein Nervositätspotential, das die Strukturierung der Antworten zwangsläufig mit beeinflussen musste.
Zu behaupten, dass die F-Skala ein sicheres Instrument zur Messung eines antidemokratischen Potentials sei, verkehrt sich m.E. eher ins Umgekehrte. Denn was sie letztendlich zeigt, ist, dass einige Menschen voreingenommen sind und andere wiederum nicht, aber das trifft für alle Menschen zu. Daraus aber abzuleiten, dass die voreingenommenen Menschen für antidemokratische Propaganda empfänglicher seien als die unvoreingenommenen, ist eine nicht nachweisbare These. Denn in konkreten praktischen Situationen können diese Menschen sich auch anders verhalten. Die Studie kritisiert zwar die Typologie, weil sie klassifizierend ist und flexible Züge in statische verwandelt, aber die Syndrome, die von der F-Skala abgeleitet werden sind in dem Selben Dilemma gefangen. D.h., die Syndrome klassifizieren genauso die Individuen wie die entwickelte Typologie auch.
Literaturverzeichnis
Adorno, Theodor W., Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt/M. 1995. Ders.: Soziologische Schriften I, in: ders., Gesammelte Schriften in 20 Bde., hg. von Tiedemann, Rolf unter Mitwirkung von Adorno, Gretel u.a., Bd.8 der Gesamtausgabe, Darmstadt 1998.
[1] Adorno, Theodor W., Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt/M. 1995, S.IX.
[2] Ebd., S. X.
[3] Ebd., S. 2.
[4] Ebd., S. 3.
[5] Ebd., S. 5.
[6] Ebd., S. 6.
[7] Ebd., S. 7 f.
[8] Ebd., S. 8 ff.
[9] Ebd., S. 16 f.
[10] Ebd., S. 17.
[11] Ebd., S. 18.
[12] Ebd., S. 22.
[13] Ebd., S. 22 ff.
[14] Ebd., S. 45.
[15] Ebd., S. 44 ff.
[16] Ebd., S. 71.
[17] Ebd., S. 72.
[18] Ebd., S. 72.
[19] Ebd., S. 73.
[20] Ebd., S. 73.
[21] Ebd., S. 74.
[22] Ebd., S. 74.
[23] Ebd., S. 74.
[24] Ebd., S. 75.
[25] Ebd., S. 40 passim
[26] Ebd., S. 101 f.
[27] Ebd., S. 105.
[28] Ebd., S. 106.
[29] Ebd., S. 107.
[30] Ebd., S. 107f.
[31] Ebd., S. 108.
[32] Ebd., S. 308.
[33] Ebd., S. 310.
[34] Ebd., S. 309 f.
[35] Ebd., S. 312.
[36] Ebd., S. 303 passim.
[37] Ebd., S. 323.
[38] Ebd., S. 328.
[39] Ebd., S. 332.
[40] Ebd., S. 334.
[41] Ebd., S. 314 passim.
[42] Ebd., S. 339 passim.
[43] Vgl. Adorno, Theodor W.: Gesellschaft, in: Gesammelte Schriften in 20 Bde. Soziologische Schriften I, Bd. 8, hg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, u.a., Darmstadt 1998, S. 17.
Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno (* 11. September 1903 in Frankfurt am Main; † 6. August 1969 in Visp, Schweiz) war ein neomarxistischer Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist. Als Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung ab 1959 prägte er mit Horkheimer und Marcuse die sogenannte „Neue Linke“ und war ein herausragender Theoretiker der Umerziehung.
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