Ethan A. Huff
Seit geraumer Zeit arbeiten Psychiater an der vierten überarbeiteten Ausgabe des »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM, »Diagnostisches und Statistisches Handbuch psychischer Störungen«), in die sie eine ganze Reihe neuer psychischer Störungen aufzunehmen hoffen. Leider handelt es sich bei vielen dieser Störungen jedoch nur um Persönlichkeiten oder Verhaltensformen, die von der Norm abweichen.
Möglicherweise werden in diese neue Ausgabe »Störungen« wie »Oppositional Defiant Disorder« (Aufsässigkeits-Trotz-Störung) aufgenommen, die bei Menschen festgestellt werden, die »Autoritätsfiguren gegenüber ein negativistisches, trotziges, ungehorsames und feindliches Verhalten« an den Tag legen. Zu den »Symptomen« dieser Störung zählt, dass der Betreffende leicht in Wut gerät, andere belästigt und »reizbar« ist.
Auch Persönlichkeitsauffälligkeiten wie antisoziales Verhalten, Arroganz, Zynismus oder Narzissmus sollen als »Störungen« gelten. Es gibt sogar Kategorien für Menschen mit häufigen Essattacken und für Kinder, die zu Wutanfällen neigen.
Schon jetzt wird bei Kindern viel zu häufig die Diagnose »bipolar« oder Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) gestellt, und daraufhin werden gefährliche Neuroleptika verschrieben. Werden noch mehr normale Kindheits-Verhaltensmuster als psychiatrische Störungen kategorisiert, werden nur noch mehr Kindern unnötig solche Medikamente verordnet.
Bei jeder neuen Ausgabe des DSM hat es umstrittene neue Einträge gegeben, die jüngste macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Tatsächlich hat der Umfang des Handbuchs im Laufe der Jahre erheblich zugenommen. Die schöne neue Art und Weise, wie die sogenannten medizinischen Fachleute bestimmte individuelle Charakteristika betrachten, ist das Beunruhigendste an der neuesten Ausgabe.
Kinder, die im Verein mit ihrer unverwechselbarer Persönlichkeit eine besondere Verhaltens-Exzentrizität an den Tag legen, würden jetzt allgemein als an einer Geisteskrankheit leidend eingestuft. Hätte es in der Vergangenheit dieses Kriterium zur Diagnose einer Krankheit schon gegeben, dann hätte es Menschen wie Mozart oder Einstein, die sich über die Norm hinwegsetzten und neue und einmalige Ideen hervorbrachten, vielleicht nie gegeben.
Ein Artikel in der Washington Post bringt das Wesentliche dieser Vorstellung in folgendem Zitat auf den Punkt:
»Würde der siebenjährige Mozart heute versuchen, seine Konzerte zu komponieren, würde man bei ihm vielleicht eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivität-Störung diagnostizieren und ihn durch Medikamente in eine fruchtlose Normalität zurückführen.«
Die Vorstellung, charakterliche Unterschiede von der Norm stellten eine Art psychiatrischer Erkrankung dar, nimmt Individuen nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sie beraubt sie ihrer unverwechselbaren Persönlichkeit. Sie reduziert Menschen zu Subjekten, die nicht selbst denken können, sondern durch Medikamente unter Kontrolle gebracht werden müssen.
Womit wir bei der vielleicht größten treibenden Kraft hinter den Neuformulierungen des DSM gelandet wären: die Arzneimittelhersteller. Die Pharmaunternehmen werden sehr viel verdienen, wenn praktisch jeder Mensch als geisteskrank und medikamentös behandlungsbedürftig eingestuft wird.
Vielleicht wäre es in dieser Lage eher geraten, die Psychiater und die Götter der Medikamente, die solchen Unsinn verbreiten, als wirklich an einer psychiatrischen Erkrankung leidend zu betrachten. Vielleicht sind sie es, die einer stationären Behandlung bedürfen.
Quelle für diesen Artikel war u.a.:
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/02/26/AR2010022603369.html?hpid=opinionsbox1
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